Die Kunst, vom Arzt gehört und gesehen zu werden

Ich habe gerade das schon 2004 erschienene, aber immer noch ungemein empfehlenswerte Buch „Die verlorene Kunst des Heilens“ von Bernard Lown gelesen. Dieser ist nicht nur einer der berühmtesten Kardiologen der Welt, der u.a. die Elektroschockbehandlung bei Herzrhythmusstörungen (Defibrillation und Kardioversion) erfunden bzw. entwickelt hat, sondern er hat auch 1980 mitten im kalten Krieg gemeinsam mit einem russischen Kollegen die IPPNW gegründet (deutsche Sektion: Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges – Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.) und dafür 1985 den Friedensnobelpreis erhalten. In seinem Buch kritisiert er die dramatische Kommerzialisierung der Medizin und plädiert für eine menschliche Medizin, in der Ärzte ausreichend Zeit für ihre Patienten haben, und einen (in meinen Worten) psychosomatischen Zugang, der nicht nur einzelne Organe erfasst, sondern den ganzen Menschen. Werbung für das Buch zu machen wäre alleine schon Grund genug für einen Blog-Eintrag, aber ich beziehe mich vor allem auf das letzte Kapitel im Buch „Wie man Ärzte zum Zuhören bringt“. Dieses Thema beschäftigt mich schon lange, und zwar sowohl als Arzt als auch als Patient. In einer Klinik, in der ich früher beschäftigt war, gab es eine eigene Indikativgruppe für Menschen mit körperlichen Beschwerden, wo ich versucht habe, dafür immer eine eigene Stunde einzuplanen, und es knüpft auch mal wieder an eine der letzten Psychcast -Folgen an, nämlich „PC063 Körper und Psyche im medizinischen Alltag oder: „Sex, drugs and crime“„.

Worum geht es? Obwohl wir in Deutschland sicher immer noch eines der besten Gesundheitssysteme der Welt haben, sind viele Menschen damit nicht zufrieden, was sich u.a. in dem wuchernden Paramedizinmarkt zeigt. Einer der Gründe ist, dass sich viele Ärzte zu wenig Zeit nehmen, weil diese schlecht bezahlt wird, obwohl es bei vielen Beschwerden die wichtigste Ressource ist. Die meisten Beschwerden bessern sich von alleine, wenn man sich und seinem Körper Zeit und Ruhe gibt. Als Patient kann man das System nicht ändern, aber man kann selbst etwas dazu beitragen, dass Arztkontakte befriedigender sind, und zwar für beide Seiten. Einige Möglichkeiten sind:

  • Seine Erwartungen realistisch halten: Die Medizin kann heute wahre Wunder vollbringen bei akuten (z.B. Unfällen) und früher tödlichen Erkrankungen (z.B. Krebs). Sie hat unglaubliche diagnostische (z.B. Bildgebung) und therapeutische (z.B. Organtransplantationen) Möglichkeiten. Dennoch kann man viele Beschwerden nicht medizinisch heilen. Das liegt zum einen daran, dass unser Körper ein unglaublich komplexes Wunderwerk ist, wo man nicht beliebig eingreifen kann, ohne Nebenwirkungen in Kauf zu nehmen. Dies gilt insbesondere für chronische Krankheiten. Und es liegt zum anderen daran, dass viele Beschwerden funktionelle oder psychosomatische Ursachen haben, die man nicht medizinisch „beseitigen“ kann, sondern bei denen der Patient selbst etwas ändern muss. Auch die Akzeptanz, dass körperliche Beschwerden zum Leben dazugehören, ist deutlich gesunken, wozu nicht zuletzt die Versprechungen vieler Ärzte und Medien beitragen. Die Gesundheitsdefinition der WHO „Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen“ beschreibt einen Zustand, der auf Dauer utopisch ist. Vor allem hat er wenig mit dem Gesundheitssystem zu tun. Krankheit und Gesundheit sind ein Kontinuum, und jeder Mensch befindet sich zu jeder Zeit irgendwo dazwischen. Man muss nicht unbedingt Friedrich Nietzsche zustimmen, der schrieb, „Gesundheit ist dasjenige Maß an Krankheit, das es mir noch erlaubt, meinen wesentlichen Beschäftigungen nachzugehen.“ Aber ein etwas entspannterer Umgang mit alltäglichen Beschwerden täte allen gut. Für einen grippalen Infekt braucht man einfach keinen Arzt, da tut es ein Bett, warmer Tee und ein bisschen Zuwendung.
  • Überlegen, was man vom Arzt möchte: Das klingt simpel, scheint aber oftmals nicht ganz klar. Die meisten Ärzte sind dankbar, wenn sie die Erwartung des Patienten kennen. Es ist daher äußerst hilfreich, sich dies vorab zu überlegen und dem Arzt auch relativ zu Beginn mitzuteilen, zum Beispiel:
    • Habe ich unklare Beschwerden und wünsche mir eine Abklärung (Diagnostik)?
    • Habe ich schon bekannte Beschwerden und wünsche mir eine bewährte oder auch neue Behandlung, z.B. einfach ein Rezept (Therapie)?
    • Benötige ich lediglich eine Krankschreibung für meinen Arbeitgeber, weil ich wegen eines Infektes arbeitsunfähig bin und ins Bett gehöre (Bürokratie)?
  • Zeitmanagement: Wie oben beschrieben, ist die Zeit für jeden Arzt ein wertvolles Gut. Man macht sich den Arzt zum Freund, wenn man dies wertschätzt und mit seiner Zeit achtsam umgeht. Dies beinhaltet:
    • Eine aktuelle Liste der Medikamente parat haben: Präparat, Wirkstoff, Dosierung, Einnahmezeitraum. Wenn man früher mal Medikamente eingenommen hat, ist es sinnvoll, auch diese separat aufzuführen und den Grund, warum man sie abgesetzt hat (z.B. Nebenwirkungen). Bei jedem Medikament sollte man wissen, warum man es einnimmt – klingt selbstverständlich, ist aber erschreckend oft nicht der Fall („mein Arzt hat mir das mal verschrieben, ich glaube für den Magen…“)
    • Kopien von vorangegangen Untersuchungen, Befunden oder Arztbriefen mitbringen, die für das aktuelle Problem relevant sind! Man erspart sich Aufwand, Zeit und Risiken und dem Gesundheitssystem Geld, wenn man Doppeluntersuchungen vermeidet oder Therapien, die bereits versucht wurden. Die Unterlagen sollten chronologisch geordnet sein und wirklich zum aktuellen Problem gehören. Jeder Arzt geht in Abwehrhaltung, wenn der Patient einen dicken Ordner mitbringt mit den gesammelten Werken der letzten 10 Jahre und sich in wenigen Minuten einen Überblick verschaffen soll.
    • Die Zeit selbst im Auge behalten und versuchen, die Beschwerden und Anliegen konzentriert zu beschreiben. Langatmige und weitschweifige Schilderungen bereiten dem Arzt Stress und er wird versuchen, das Gespräch abzukürzen, wodurch möglicherweise wichtige Informationen verloren gehen.
    • Sich auf das Gespräch mit dem Arzt vorbereiten: Gerade bei diffusen Beschwerden oder chronischen Krankheiten mit schon längerer Dauer empfiehlt es sich, vorher zu überlegen, wie man dem Arzt seine wesentlichen Symptome übersichtlich und nachvollziehbar schildern kann. Dazu gehören die Zeit ihres Auftretens, Dauer, was bisher geholfen hat oder wodurch sie schlechter werden.
    • Fragen des Arztes präzise beantworten. Wenn der Arzt fragt „Treiben Sie Sport?“, dann will er nicht hören, dass man früher mal im Sportverein war und als Jugendlicher gerne Ski gefahren ist und sehr gerne Fußball anschaut, sondern wie viel man sich pro Woche aktuell bewegt.
  • Eine Begleitperson mitnehmen: Handelt es sich um ein schwieriges Gespräch, aus welchen Gründen auch immer, lohnt es sich, jemanden dabei zu haben. Wenn man unter Stress steht, fehlen einem oft die richtigen Worte, man vergisst wichtige Informationen oder was man fragen wollte, und hinterher weiß man nicht mehr, was der Arzt genau gesagt hat. Eine Person, der man vertraut, kann hier eine wichtige Unterstützung sein.

Diese Tipps sind keine Garantie, dass man bekommt, was man möchte, aber sie erhöhen die Chance beträchtlich. Und ja, auch die Ärzte könnten einiges anders und besser machen und ja, man könnte auch das ganze System ändern, aber das war ja hier nicht das Thema…